Foto: Sebastian Wagner
“Fehlerfreie Konzerte sind eine Sackgasse”
Üben, üben, perfektionieren – wer auf großen Bühnen spielen will wie der Pianist und Konzertdesigner TONI MING GEIGER, muss hart an sich arbeiten. Bei ihm kam der Erfolg: „Umwerfend“, schreibt die Presse über seine Auftritte – die ihm aber irgendwann selbst zu perfekt wurden, zu glatt, zu langweilig. Ein Gespräch über lebendig machendes Scheitern, die Einsamkeit am Klavier und unser neues Kreativ-Kraftwerk: das HIDALGO Kollektiv
Interview: Elisabeth Pilhofer
Toni, wir haben dich bei unserer ersten Kollektiv-Workshop-Phase als akribischen Tüftler kennengelernt. Wie gehst du mit Fehlern um?
Ich versuche tatsächlich, mehr davon zu machen.
Ja? Wieso?
Das ist gewissermaßen eine späte Reaktion auf meine musikalische Ausbildung. Ich wurde sehr klassisch sozialisiert. Mit Mitte Zwanzig war ich spielerisch auf einem sehr guten Level, habe mich aber wie in einer Sackgasse gefühlt. Ich fragte mich: Was machst du denn jetzt, wo du Konzerte fehlerfrei spielen kannst?
Warum hast du dein Können als Sackgasse empfunden?
Weil mir diese als perfekt geltende Musik als nicht lebendig erschien. Mittlerweile glaube ich, das Publikum muss bei Auftritten spüren können, dass Musik live entsteht, dass hier ganz im Moment musiziert wird. Das geht nur, wenn du spontane Entscheidungen zulässt und dir keine Gedanken darum machst, Fehler zu vermeiden.
Wie bist du zu dieser Gelassenheit gekommen?
Das musste ich mir mühsam erarbeiten. Ich spiele nicht bewusst falsche Noten. Aber ich verziere hier und da, variiere Rhythmus und Dynamik – so, wie es mir in dem Moment für das, was ich musikalisch erzählen möchte, sinnvoll erscheint. Das ist Lebendigkeit, das macht es persönlich.
Was suchst du jetzt bei uns im HIDALGO Kollektiv? Auch Lebendigkeit?
Genau, ich will interdisziplinär mit anderen Künstler*innen arbeiten und dadurch das klassische Repertoire neu beleben. Ich stimme da mit dem Ansatz des HIDALGO total überein, deshalb soll er Teil meines künstlerischen Lebens sein.
Warum muss man denn alte Werke neu beleben? Sie sind doch schön, wie sie sind, oder nicht?
Das Alte einfach so lassen? Ja, das hat sicher auch seinen Reiz. Nur nicht für mich. Ich müsste dann den Beruf oder das Genre wechseln.
Warum denn?
Ich würde mich nur als reproduzierendes Element fühlen – und ich kann tatsächlich behaupten, dass ich diese ganzen alten Lieder recht gut interpretieren kann. Aber ich will mich als lebendiges Wesen aus dem Jahr 2022 fühlen können.
Warum spielst du dann nicht modernen Pop oder irgendeinen ganz avantgardistischen Jazz?
Weil diese klassische Musik viel in mir anspricht. Sie ist teilweise vor Jahrhunderten geschrieben worden, aber immer noch intensiv. Sie spricht zu mir und zu vielen anderen Menschen. Darum geht es mir auch in meiner Arbeit als Konzertdesigner, der ich ja auch bin. Ich will neue, möglichst verschiedene Zugänge zur Musik anbieten. Wir verlassen uns heute zu oft auf die Standard-Aufführungspraxis, auf die Etikette.
Welche Etikette meinst du?
Du gibst deine Sachen an der Garderobe ab und gehst zu einem vorbestimmten Platz. Du darfst dich nicht bewegen zur Musik. Du darfst nicht reden, essen oder trinken. Du darfst nicht spontan Beifall äußern, wenn dir was besonders gefallen hat. Bis zum Schluss jedes Werks muss andächtige Stille herrschen.
Das scheint vielen zu taugen.
Aber nur einer ganz bestimmten Gruppe von Menschen. Andere fühlen sich in klassischen Konzerten nicht willkommen. Sie haben Angst, etwas falsch zu machen. Mit diesen Mustern müssen wir brechen, damit die klassische Musik eine Zukunft hat und nicht museal erstarrt.
Welche Brechstange setzt du an?
Ganzheitliche Gestaltung.
Was heißt das konkret?
Wir müssen alles in den Blick nehmen: Raum, Licht und Publikum, die Auswahl der Stücke, den dramaturgischen Ablauf, die Kleidung, das Setting. All das müssen wir arrangieren, damit Musik ihre maximale Wirkung entfalten kann.
Dafür werden wir im HIDALGO Kollektiv die nächsten drei Jahre zusammenarbeiten. Auf was freust du dich am meisten?
Darauf, dass ich weiß: Hier ist ein Raum, in dem ich mich künstlerisch austoben und mir neue Inspiration holen kann. Das HIDALGO Kollektiv ist mein künstlerisches Koffein.
Arbeitest du sonst viel allein?
Ja, als Pianist übt man sehr viel allein. Ich habe aber früh gemerkt, dass das für mich nicht gut ist. Deswegen arbeite ich immer mal wieder in Teams. Der Austausch mit anderen Menschen ist das, was mich motiviert. Ich brauch das, um voranzukommen.