Foto: Max Ott
“Ich wusste, das ist jetzt etwas Großes”
Vor acht Jahren hatte der Sänger TOM WILMERSDÖRFFER plötzlich eine Idee – und gründete mit einem kleinen Team das HIDALGO Festival. In dieser Saison verlässt er uns als Künstlerischer Leiter und Co-Geschäftsführer. Wir schauen mit ihm zurück: auf die Anfänge, auf Momente des Scheiterns und große Glücksgefühle.
Interview: Philipp Nowotny
Tom, kannst du dich noch an den Moment erinnern, als dir die Idee zum HIDALGO kam?
Das war im August 2016, bei einem sehr klassischen Orchester-Konzert in der Münchner Residenz. Während ich zuhörte, hat es bei mir einen Schalter umgelegt. Ich war davor zum Studium einige Jahre weg gewesen, und in der jungen Szene in München hatte sich in der Zwischenzeit wahnsinnig viel getan. Ich wusste plötzlich, dass es ein Bindeglied braucht zwischen Staatsoper und Bahnwärter Thiel.
Für was stehen diese zwei Orte?
Die Staatsoper steht für höchste künstlerische Qualität und höchsten Anspruch. Der Bahnwärter Thiel steht für Orte, an denen sich unsere Generation gerne aufhält, die voll sind mit Leben. Diese zwei Welten wollte ich verbinden. Über zwei Nächte habe ich ein Konzeptpapier geschrieben und bin dann damit in mein Netzwerk gegangen. Daraus hat sich ein kleines Team gebildet, das war der Start.
Wann wusstest du für dich persönlich, dass der HIDALGO funktionieren wird?
Im Grunde vom ersten Moment an. Ich wusste, das ist jetzt etwas Großes. Natürlich hat man zwischendurch immer wieder Momente des Zweifelns, wenn zum Beispiel mal wieder Geld fehlt, aber die Grundüberzeugung war bei uns immer da. Diesen Optimismus, dass es klappt, brauchst du aber auch, ob nun künstlerisch oder unternehmerisch.
Im ersten Festival-Jahr haben wir zum Beispiel mit nur etwa 40.000 Euro fünf Formate realisiert.
Und das ging nur mit viel Selbstausbeutung. Über die Jahre ist das Budget gewachsen, aber natürlich kostet die Professionalisierung auch Geld. Am Ende muss sich viel den Gegebenheiten anpassen: Ideen, große Pläne, Anzahl der Formate und Probenzeiten. Das war immer Teil unseres Prozesses und kann sehr frustrierend und ermüdend sein. Ich denke mir manchmal: Was wäre künstlerisch alles möglich, wenn man nicht so viel Zeit in Antragsstellungen und Abrechnungen stecken müsste?
In welchen Momenten sind wir richtig krachend gescheitert?
Für mich persönlich war das 2019 das Format SCROLLEN IN TIEFSEE. Da bin ich sehr vollmundig reingegangen mit der Vision, ein zeitgenössisches Gedicht zu nehmen, es mit Video zu interpretieren, eine Leinwandkuppel zu bauen, das neu zu vertonen, und dann sollte das alles auch noch ineinandergreifen. Ich hatte mir das damals sehr naiv in meinen Hollywood- und Netflix-Sehgewohnheiten vorgestellt, aber nur ein Budget, das ein ehrenamtliches Filmteam zuließ. Die beteiligten Leute hatten noch nie miteinander gearbeitet. Es hat nicht funktioniert, das Format ist in einem Werkstatt-Zustand steckengeblieben. Der Verriss der Süddeutschen Zeitung hat sich damals vernichtend angefühlt und mich an allem zweifeln lassen.
Aber dieses Scheitern war der Startpunkt für das HIDALGO Kollektiv.
Durch diese Produktion kam die Erkenntnis, dass wir eben kein Theater mit eingeschliffenen Abläufen sind, sondern dass wir ein Kollektiv bilden wollen, in dem wir Künstler*innen aus unterschiedlichen Sparten zusammenbringen. Die Künstler*innen sollen die jeweiligen Arbeitsprozesse der anderen kennenlernen und Vertrauen zueinander fassen – und dadurch können neue Werke entstehen. Das ist die Idee unseres Kollektivs, und unsere Formate der letzten Zeit haben bewiesen, dass sie funktioniert.
Hättest du dich eigentlich – mit dem heutigen Wissen – damals entschieden, ein Festival zu gründen?
Hätten wir alle damals gewusst, was das für einen Aufwand bedeutet – ein Unternehmen und ein Team aufzubauen, immer wieder um Geldmittel zu kämpfen – ich weiß nicht, ob wir es getan hätten.
Was hat HIDALGO in deinem Leben verändert?
Ich denke daran, was ich alles lernen durfte. Wir haben uns in der Geschäftsführung alles autodidaktisch beigebracht. Ich habe unternehmerisch sehr viel gelernt, im Umgang und in der Zusammenarbeit mit Menschen, dazu das künstlerische Handwerk, das Wissen, wie diese ganzen Gewerke arbeiten, wie ich einen Raum ausleuchte, eine Szene aufbaue, was eine funktionierende Dramaturgie ist. Der HIDALGO war für mich eine große Bildungsreise, für die ich sehr dankbar bin.
Was waren für dich berührende Momente in deinen knapp acht Jahren HIDALGO?
Die Arbeit bei HIDALGO hat mich mit den höchsten Höhen und den tiefsten Tiefen konfrontiert, sie war unfassbar intensiv. Das sind Momente mit dem Team, aber auch Momente, die ich allein erlebt habe.
Hast du dafür ein Beispiel?
Im letzten Jahr hatten wir kurzfristig einen Auftrag vom Münchner Residenztheater bekommen. Ich war schon in den Proben, hatte aber noch keinen Text. Ich war zutiefst verzweifelt, und wusste nicht, was ich tun soll. Dann habe ich mich hingesetzt und einen Text geschrieben, habe darin eine Science-Fiction-Welt aufgemacht. Ich habe Seite um Seite geschrieben. Als ich fertig war, war das ein High und ein Glücksgefühl, wie ich es noch mit keinen Drogen erlebt habe. Das war Erfüllung.
Solche High-Gefühle können auch im Team entstehen, oder?
Ja, ich denke da an die Endprobenphasen, wenn du merkst, jeder schmeißt sich rein, jeder gibt sein Maximum. Wir surfen gemeinsam die Welle, wir lassen uns von der Energie tragen. Das erzeugt tiefe Verbindungen, auch zwischenmenschlich.
Bei so einer Arbeit, die einen selbst erfüllen soll, für die man bereit ist alles zu geben, besteht auch immer die Gefahr, auszubrennen und sich zu sehr zu beanspruchen, richtig?
Genau, das ist natürlich auch eine Frage der Erfahrung, dass die notwendige Spannung nicht in Überlastung kippt, sowohl bei anderen als auch bei einem selbst. Das hat bei mir im letzten Jahr nicht mehr gut funktioniert. Immer wieder habe ich mich in den vergangenen Jahren gefragt: Was braucht die Kunst? Was braucht HIDALGO und sein Team? Und was brauche ich selbst? Jetzt bin ich zu dem Punkt gekommen, wo ich diese Balance nicht mehr dauerhaft aufrecht halten kann, und deswegen ist es jetzt auch für mich an der Zeit, einen Schritt zurückzutreten.
Wie stellst du dir deine Zukunft vor?
Da bin ich gerade offen. Ich spüre eine große Freiheit, für die ich sehr dankbar bin. Zum ersten Mal seit acht Jahren habe ich keinen Plan. Gleichzeitig habe ich das Wissen und Vertrauen, dass sich für mich das nächste Ding ergeben wird. Die Entscheidung, den HIDALGO zu verlassen, war beängstigend, da gab es panische Momente. Es ist wie eine Beziehung, die zu Ende geht, für mich war es schließlich ein ganzer Lebensabschnitt, und der HIDALGO ist mein Baby, in das ich teils 60 bis 80 Stunden in der Woche investiert habe. Es war das erste und das letzte, an das ich jeden Tag gedacht habe. Jetzt hat dieses Kind laufen gelernt. Es gibt ein Team mit Menschen, die dafür brennen, die Teil des HIDALGO geworden sind und wissen, wie es weitergeht. Menschen, die eigene Ideen haben und verfolgen werden. Es ist nicht leicht gewesen, da loszulassen, aber ich empfinde jetzt eine große Ruhe.
Wo siehst du den HIDALGO gerade?
Wir sind etabliert in München, zumindest in der Kultur- und Kunstszene, man hat von uns deutschlandweit gehört und es bahnen sich immer mehr internationale Kooperationen und Auftragsarbeiten für das Kollektiv an. HIDALGO ist auf dem Sprung.