Der HIDALGO beginnt mit einem Konzertbesuch des Sängers Tom Wilmersdörffer. Während der sich ein sehr konventionelles Orchesterprogramm in der Münchner Residenz anhört, hat er auf einmal eine Idee: In München braucht es ein neues Festival, das hohe künstlerische Qualität und die Orte der jungen Szene verbindet – Staatsoper trifft auf Bahnwärter Thiel, Klassik auf andere Kunstformen. Tom schreibt noch in derselben Nacht ein zweiseitiges Konzeptpapier, trommelt Leute aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis zusammen, und der HIDALGO reitet los!
Innerhalb von zwei Jahren soll ein außergewöhnliches Klassikfestival entstehen, dazu versammeln sich acht Gründungsmitglieder in einem Münchner Lokal und gründen den HIDALGO e.V., ganz ordnungsgemäß mit Satzung und Protokoll. Als Vorsitzender wird Tom gewählt, als Schriftführer der Journalist und heutige Geschäftsführer Philipp Nowotny. Die Ziele: 1. gute, große Kunst machen, 2. dem Kunstlied zu mehr Präsenz verhelfen und 3. sich “in der Münchner Kulturszene einen Namen machen”. Der Name “HIDALGO” leitet sich von einem Kunstlied von Robert Schumann ab, in dem es um einen Freigeist geht, der kein Risiko scheut. Seinen Wahlspruch machen wir uns zu eigen: “Auf denn zum Abenteuer!”
Im Frühling 2017 fahren wir auf Klausur nach Südtirol und setzen die Weichen für den HIDALGO – wir legen fest, wer für Künstlerisches, Fundraising, Finanzen, Marketing und Organisation verantwortlich ist, welche Personen wir noch brauchen, mit wem wir uns vernetzen müssen, wir erarbeiten, welche Zielgruppen wir ansprechen wollen und sammeln Ideen für mögliche Formate. Tom wird dabei zum Künstlerisch-Administrativen Leiter bestimmt, Philipp übernimmt die Verantwortlichkeit für Marke und Kommunikation. Und sehr wichtig: Wir haben die gute Idee, mal ein kleines Pilot-Konzert zu planen, bevor wir ein ganzes Festival machen.
Das kleine Pilotkonzert platzt dann aus allen Nähten. In der Zwischennutzung “Hotel Lovelace” bauen wir eine Traumwelt aus Schwarzlicht, einem riesigen Spiegel und einer noch riesigeren Gitterinstallation, die frei in der Lobby hängt. Mit vielen Helfer*innen fertigen wir die Installationsteile selbst an, allein drei Nächte lang bauen wir die Traversen auf. Als erste Musiker beim HIDALGO treten Sänger Ludwig Mittelhammer und Pianist Eric Schneider auf. Über 300 Menschen kommen – Erfolg!
Rund ein Jahr später laden wir zum ersten HIDALGO Festival. „Der HIDALGO geht um“, meldet der Bayerische Rundfunk. In fünf Veranstaltungen reisen wir quer durch den Liedkosmos. Wir beginnen im barocken Residenzsaal, den wir zum Klassik-Club umwidmen, gehen in den Barbershop, lassen im alternativen Bahnwärter Thiel Poetry-Slammer*innen auf Lieder mit Old-School-Frauenbild prallen, dekonstruieren performativ Schubert und feiern Finale im Minimal Club. Das Abenteuer hat begonnen.
In den drei Jahren seit der ersten Idee zum HIDALGO ist das Team immer größer geworden. Es wird immer schwieriger, komplexe Entscheidungen in unzähligen kleinen Sitzungen mit einem ehrenamtlichen Vorstand zu fassen – es braucht Professionalisierung. Kurz vor dem zweiten Festival gründen wir deshalb die gemeinnützige HIDALGO gGmbH. Geschäftsführer werden Philipp und Tom, der als gleichzeitiger Künstlerischer Leiter die Intendantenfunktion innehat. Der bisherige Trägerverein wird in einen Förderverein umgewandelt.
Beim Festival 2019 feiern wir das Dionysische in der Musik. Die Droge „Lied“ verteilen wir bei Straßenkonzerten, im Jagd- und Fischereimuseums reichern wir Musik mit E-Gitarre, Synthesizer und Videokunst zu einer Trance-Party an, und im Gasteig formen wir aus moderner Poesie, neuer Komposition und einer Videoproduktion eine sehr aufwendige Installation. Erstmals tritt das neue HIDALGO Festivalorchester unter der neuen Musikalischen Direktorin Johanna Malangré auf, das den Bahnwärter Thiel zum Beben bringt.
Mitten in der Corona-Pandemie, als wir darüber nachdenken, das nächste Festival abzusagen, flattert ein Bescheid der Kulturstiftung des Bundes in unseren Briefkasten: Bam! Die erste große Förderung auf Bundesebene, mit der wir nun das Festival stemmen können. In den folgenden Jahren bauen wir unseren Fundraising-Bereich aus. Öffentliche Gelder, Zuschüsse durch Stiftungen, Sponsoringmittel von Unternehmen und Spenden von Privatleuten sind wichtige Säulen unserer Kunst- und Kulturarbeit.
Das Tabu-Thema “Scheitern” steht bereits vor der Pandemie fest – passt nun aber perfekt. In acht Formaten beleuchten wir es. Unsere Zuschauer*innen sehen Musiktheater mit Boxkampf, beichten via Smartphone und sitzen zwischen Kletterwänden im Orchesterkonzert. Sie erleben auf einem Parkhaus eine fünfstündige Beethoven-Installation, eine Tanzperformance, Podiumsdiskussionen und eine Fuck Up Night als Livestream. Zum ersten Mal gibt es rund 100 Mini-Konzerte über die ganze Stadt verteilt – der Beginn unseres Erfolgsformats Sreet Art Song, das seither jährlich mit Nachwuchsmusiker*innen, vielen Klavieren und mehreren Speditionen durch München zieht.
Zum Jahresende 2020 können die Korken knallen: Die Münchner Abendzeitung zeichnet uns mit dem Kulturstern in der Sparte Klassik aus. Sie lobt die Idee des HIDALGO, “das Kunstlied ohne Abstriche bei der Qualität aus seiner etwas gepflegt-elitären Ecke herauszuholen, sich dem emotionalen Glutkern der Musik zu nähern und mit szenischen Formen auch ein jüngeres Publikum anzusprechen.” Dies sei unserem “kleinen, aber edlen Festival in diesem Jahr ganz besonders gut” gelungen. Herzlichen Dank!
Das erste Gastspiel des HIDALGO hätte eigentlich bereits 2020 beim Heidelberger Frühling gefeiert werden sollen, dann kam Corona, der Rest ist bekannt. Jetzt aber tatsächlich: Für das ID Festival Berlin führen wir 2021 unseren BOX-SALON (Regie: Tom Wilmersdörffer) vom vorherigen Festival neu auf. Und weil immer noch Pandemie herrscht, gehen wir wieder ins Münchner Boxwerk, beauftragen eine Video-Crew und strahlen den Abend mit Sängerin Andromahi Raptis und Pianist Jonathan Ware live über Facebook und Youtube aus.
Türen öffnen, Netzwerke knüpfen, Ratschläge geben und Fördermittel ermöglichen – das sind knapp zusammengefasst die Aufgaben des ehrenamtlichen HIDALGO Kuratoriums, das sich im Mai 2021 bei der ersten konstituierenden Sitzung im Münchner Gasteig gründet. Die Mitglieder kommen aus Politik, Wirtschaft und Kultur, sie werden künftig mindestens einmal im Jahr tagen, die Geschäftsführung des HIDALGO unterstützen und auch kritisch die Entwicklung unserer Kultur-Unternehmung begleiten.
In der vierten Auflage rufen wir auf zur R*Evolution – unter anderem gegen sexualisierte Gewalt und den menschgemachten Klimawandel. Erstmals haben wir mit dem ehemaligen Betonwerk “Sugar Mountain” eine feste Festival-Location. Unser Festivalorchester spielt Schostakowitsch gegen die Zerstörung unsere Ressourcen, und in dem Musiktheater RAPE & CULTURE (Regie: Tom Wilmersdörffer) setzen wir mit Tanz, Sounddesign und den Stimmen Betroffener ein Zeichen gegen Machtmissbrauch in der Klassik-Szene.
Zum Jahreswechsel startet offiziell das neue HIDALGO Kollektiv. Die Idee dahinter: Künstler*innen aus verschiedenen Disziplinen sowie Wissenschaftler*innen treffen sich regelmäßig, tauschen sich über ihre Arbeitsweisen aus, laden Dozent*innen ein und finden Vertrauen und eine gemeinsame Sprache. Die Künstlerische Leitung übernimmt Tom, die Kulturmanagerin Elisabeth Pilhofer organisiert die Arbeitsphasen und prägt den Aufbau des Kollektivs entscheidend mit. Tatsächlich entwickelt sich das Kollektiv bald zu unserer künstlerischen Keimzelle.
Auch dank unseres Kollektivs können wir fortan nicht nur Gastspiele an andere Häuser schicken, sondern spartenübergreifend Bühnenwerke komplett neu entwickeln. Erste Partner dafür sind die Pinakothek der Moderne, die Neue Sammlung und das Kunstareal München, für die ein Team um Tom und das Arcis Saxophon Quartett eine vierteilige performative Installation entwickelt, die über einen ganzen Tag geht. Weitere Kooperationen unter anderem mit dem Münchner Residenztheater werden folgen.
„Hereinspaziert in die Werkstatt der abgelagerten Töne“, sagen wir 2022. Unter dem Motto “Upcycled” möbeln wir alte Formate wie den BOX-SALON und SONG & SLAM auf, entwickeln den GROSSEN LIEDPREIS weiter (es gibt nun neben dem Publikums- auch einen Jurypreis) und zeigen bei LOOP OF LOVE, wie unser spartenübergreifendes Kollektiv, das Festivalorchester und eine gute Location einen ganzen Erlebnisraum formen können. „Was für eine Bereicherung“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Johanna Malangré verlässt im Anschluss den HIDALGO, um in Frankreich Musikalische Direktorin des Orchestre de la Picardie zu werden. Ihr folgt der Pianist und Konzertdesigner Toni Ming Geiger als neuer Musikalischer Direktor nach. Als Dramaturgische Direktorin vervollständigt Anne Keckeis das Künstlerische Leitungsteam unter Tom Wilmersdörffer.
In Zeiten von ChatGPT und Debatten um KI ist die sechste Saison dem Motto “Mensch Maschine” gewidmet. Mit der mobilen Installation REFUGIUM (Künstlerische Leitung: Toni Ming Geiger) liefern wir audiovisuelle Kunst im Lieferwagen aus: Über sechs Wochen lang touren wir durch die Münchner Stadtviertel, dazu kommen Gastspiele in weiteren Städten. Noch ein Highlight ist das Lied-Labor WHO ARE YOU (Künstlerische Leitung: Paul Bießmann, Jonas Urbat), bei dem wir in der Microsoft-Zentrale erforschen, was entsteht, wenn Künstliche Intelligenz auf Künstlerische Menschen trifft.
Mit zwei Pilotprojekten unter der Leitung von Sophia Rieth starten wir unsere neue HIDALGO WERKSTATT. Durch musikalische und spartenübergreifende Vermittlungsformate wollen wir Menschen unterschiedlichen Herkommens, Alters und sozialen Hintergrunds verbinden, die ersten Projekte richten sich an Schüler*innen. In sechs Schulen beschäftigen sie sich mit ihrem digitalen Selbst und körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Mit unseren Artists und Pädagog*innen entwickeln sie Flashmobs und eigene Tanz-Choreografien.
Toni Ming Geiger geht in Elternzeit und beendet zum Jahresende seine Tätigkeit als Musikalischer Direktor. Ihm folgt der Dirigent und Komponist Gregor A. Mayrhofer nach.
Etwas mehr als zwei Jahre Kollektiv-Arbeit gipfeln im Mai 2024 in ein großes, spartenübergreifendes Bühnenwerk, das über 1.700 Menschen sehen. Beim Richtfest der Kulturwerke Monheim im Rheinland bespielt das HIDALGO Kollektiv den Rohbau eines neuen Konzertsaals – mit Schauspieler*innen, Tänzer*innen, einer Sängerin, zwei Streichquartetten, vier Bühnen, zahlreichen Kunstobjekten, einer riesigen Soundinstallation über mehrere Räume und einem wilden Finale mit eimerweiser Farbe feiern wir die ZWISCHEN-WELT (Regie: Tom Wilmersdörffer, Choreografie: Roberta Pisu).
Nach fast acht Jahren als Künstlerischer Leiter, Geschäftsführer und Hausregisseur verlässt unser Gründer Tom Wilmersdörffer den HIDALGO. Zwischen seiner ersten Vision 2016 und heute hat er mit über 20 eigenen Musiktheater-Inszenierungen, Installationen und Performances die meisten bisherigen Produktionen des HIDALGO entwickelt und inszeniert, unser Kollektiv initiiert und aufgebaut und insgesamt sieben Festivalprogramme konzipiert. Kulturunternehmerisch hat er den HIDALGO bis 2019 als Vereinsvorsitzender geleitet und dabei maßgeblich die Organisationsstruktur und das Netzwerk des HIDALGO auf- und ausgebaut. Nach Gründung der HIDALGO gGmbH prägte er als Co-Geschäftsführer die Vision des HIDALGO und entwickelte sie gemeinsam mit Philipp Nowotny und dem Leitungsteam stetig weiter. Er rekrutierte unser Kuratorium und sorgte für eine stabile finanzielle Basis, indem er den HIDALGO in Dauerförderungen der Landeshauptstadt München und des Freistaats Bayern führte und einen breiten Stamm an Förderern aufbaute. Wir wünschen ihm von Herzen alles Gute; er wird immer Teil der HIDALGO-Familie sein!
Im Mai 2024 stellt sich die Leitung des HIDALGO neu auf. Das künstlerische Direktorium besteht künftig aus Anne Keckeis und Gregor A. Mayrhofer – sie werden das kommende Festival und die nächsten Saisons künstlerisch entwickeln und umsetzen. Die bisherige Prokuristin Julia Wimmer wird neue Co-Geschäftsführerin; sie hat bereits seit 2021 aufwendige Formate, Produktionen und unsere Festivals für uns organisiert. Louis Lindenborn, der seit 2022 im HIDALGO Team arbeitet, übernimmt die Leitung des wichtigen Bereichs Development (Fundraising, Sponsoring & Booking). Sophia Rieth leitet weiterhin unsere HIDALGO Werkstatt, Sarah Böhner unser Büro, Elisabeth Pilhofer als Projektleitung das HIDALGO Kollektiv, und Philipp Nowotny bleibt neben Julia weiterhin Co-Geschäftsführer.
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