Sängerin Ketevan Chuntishvili bei den Proben zu RAPE & CULTURE – Foto: Max Ott
“Nimm deine Flossen weg!”
Für unsere Produktion RAPE & CULTURE haben wir Künstler*innen gebeten, uns von ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch zu erzählen. Hier spricht Bettina, die in Wahrheit einen anderen Namen trägt
Gespräch: Tom Wilmersdörffer – Redaktion: Philipp Nowotny
Der Vorfall liegt fünf Jahre zurück. Ich war 27 und hab in einem freien Theater einen Einspringer gemacht. Mitten in die szenischen Proben rein. Alle anderen waren deutlich älter, auch mein Spielpartner. Man ist neu, man ist gerade fertig mit dem Studium und sowieso ein bisschen schüchtern. Da kommt man als junge Frau nicht gleich und sagt: So läuft der Hase. Man hält sich mal ein bisschen zurück und sondiert die Lage.
In der Finalszene, die wir geprobt haben, standen beide Pärchen auf der Bühne. Der Mann musste vor mir knien, mich am Bauch und an den Brüsten berühren und, ich sag mal, sehr sexuell anfassen.
Ich habe kein Problem mit körperlicher Berührung im Spiel. Alles, was in der szenischen Arbeit passiert, ist für mich vollkommen ok. Das kann ich sehr gut trennen. Sobald die Regie aber abbricht, ist für mich klar: Jetzt sind wir privat. Jetzt haben deine Hände da nichts zu suchen und auch keine unangemessenen Blicke und Kommentare.
Wir haben gespielt, gesungen, dann wurde die Szene unterbrochen – und er machte eben weiter. Da hab ich gesagt: Moment, stopp, wir haben gerade Break, es gibt eine szenische Ansage. Das wurde so ein bisschen belächelt. Man kennt das Klischee. Der ältere Mann, der sich denkt: Junges Ding, haha, ich zeig dir schon, wie das läuft.
Wir haben die gleiche Szene nochmal geprobt. Wir mussten das gleiche wieder tun und es wurde wieder unterbrochen. Dann kamen seine lüsterne Blicke. Er kniete vor mir, meine Brust quasi in seinem Gesicht, und er stöhnte „Oooh“. Er schaute mich abfällig-anzüglich an und fasste meine Brüste an. Ich sagte: Es reicht jetzt, hör bitte auf, es ist gerade keine Szene.
Aber man will ihm ja nichts Böses. Vielleicht ist`s ja nur ein Spaß. Wenn ich jetzt laut werde, sagt er vielleicht: Gott, du hast das völlig falsch verstanden. Auch dem ganzen Ensemble gegenüber will man nicht dastehen als eine, die wegen allem ein großes Fass aufmacht. Man will zeigen, dass man professional arbeiten kann und belastbar ist.
Im dritten Durchlauf ging es aber genauso weiter – und dann habe ich wirklich ganz laut geschrien: Hör jetzt auf! Es reicht! Nimm deine Flossen weg!
Das haben alle mitgekriegt. Ich bin mir sicher, die haben die Situation auch schon vorher mitbekommen, das andere Pärchen und die Regisseurin. Aber niemand hat was gesagt. Man muss sich das mal vorstellen: Ich schreie ihn laut an. Das hört der Dirigent, das hört das Orchester, das hören ganz hinten die Kostümleute – und es wird einfach weitergeprobt.
Mein Spielpartner hat dann damit aufgehört, es wurde nie wieder thematisiert. Er hat mit mir privat seither gar nicht mehr gesprochen. Es war alles sehr kühl auf der Bühne, und hinter der Bühne wurde auch kein Wort mehr gewechselt.
Klar, ich hätte mir gewünscht, dass der früher kapiert, dass das nicht geht, oder es gar nicht erst probiert. Dann hätte ich mir gewünscht, dass er zumindest merkt: Ok das war jetzt echt scheiße. Dass er die Eier in der Hose hat und sagt: Entschuldigung, das war nicht gut von mir.
Von der Leitung, also vom Dirigenten oder der Regisseurin, hätte ich mir gewünscht, dass sie gesagt hätten: Moment, was ist hier los? Das geht so nicht! Denn das sind neutrale Personen. Die haben eine Position inne, wo sie gucken müssen, dass sowas im Ensemble nicht passiert. Und die, wenn was passiert, gucken müssen: Wie klären wir das?
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Solltest du akut gewaltbetroffen sein, wende dich bitte an eine Kontaktstelle. Mögliche Anlaufstellen:
Überregional, rund um die Uhr erreichbar:
– Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016
– Telefonseelsorge: 0800 11 10 111 oder 0800 11 10 222
Regional in München:
– Krisendienst Bayern: 0180 655 3000
– Frauennotruf München (Mo-Fr. 10-13 Uhr und 15-21 Uhr, außer Mittwoch: 10-13 Uhr und 18-21 Uhr): 089 76 37 37
– Wildwasser München e.V. (Mo 10-12 Uhr, Mi 16-18 Uhr, Do 14-16 Uhr): 089-600 39 331
Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Film-, Fernseh- und Theaterbranche (Mo 10-12 Uhr, Mi & Do 10-12 Uhr und 15-17 Uhr): 030/23 63 20 20